Kriegsereignisse im Frühjahr 1945 / Teil 1
Notiert von Ernst Günther Kolbenach
Dr. Ernst Günther Kolbenach, geb. 29.7.1896 in Breslau, gestorben am 25.2.1974 in Karlsruhe, wohnte Ende des 2. Weltkrieges in Auerbach, Bahnhofstraße 3 im Haus Querengässer. Er war Geschäftsführer der Maschinenfabrik Hawig, die auf dem Gelände von Heinrich Schroth, Darmstädter Straße 28 ausgelagert war.
In der Bahnhofstraße 2 stand in einem großen Park die Villa der Familie Merck, in der auch die oft genannte Frau Herrmann / Merck wohnte.
Aus seinem Tagebuch:
Sonnabend, den 24.3.45
Ich spüre meine Beine von dem vielen Hin und Her. Im Geschäft fehlte Schemel (Betriebsleiter). Ich ließ arbeiten, damit meine Männer nicht zum Volkssturm kommandiert wurden. Jetzt kann nach Gutdünken alles behauptet werden. Die Verantwortung übernehme ich gern inmitten der Allzuvielen, die blaß werden, wenn sie dieses Wort hören. Telephon ist gesperrt. Wo sind militärische Dienststellen? Ich muß sie suchen, um etwas mehr zu wissen als die andern. Anordnung, daß die Männer morgen 7 Uhr zur Arbeit erscheinen sollen, so sind sie am besten geschützt.
Die neue Ortskommandatur soll im Schönberger Tal liegen, dort muß ich hin.
Am Ritterplatz nahm mich ein Offizier in seinem Wanderer-Auto mit. Ich stand auf dem Trittbrett und mußte höllisch aufpassen, daß ich nicht abgeschleudert wurde.
Auf Schloß Falkenhof, war der Stab der Armee. Man hatte aber zur Zeit kein Interesse an den Reinigungsgeräten aus unserer Fertigung.
Im Befehlsbunker der Stadt Bensheim traf ich Bürgermeister Dr. Mißler, Stadtbaurat Bräunig und noch viele andere, die ich nicht kannte.
Was soll mit Bensheim geschehen? Was mit den Panzersperren? Ich werde verabschiedet, hörte aber noch einen Streit zwischen dem Kreisleiter und dem Bürgermeister wegen der Verteidigung von Bensheim.
Sonntag, den 25.3.45
Gestern Sonnabend 21 Uhr mit meiner Frau (Hezchen) noch einmal zu Frau Herrmann. In Erwartung der Ereignisse in den nächsten Stunden saß man gern beisammen. Ein Glas Wein. Dr. Merck aus Darmstadt war gerade wie immer zum Sonnabend gekommen. Plötzlich stürmt Beate ins Zimmer und meldet, die Amerikaner seien in Bickenbach und Alsbach. Volkssturm alarmiert. Meine Mitarbeiter Gerhard, Gölz und Riebel seien vor der Tür, um zu fragen, was sie nun tun sollten. Ich eilte hinaus und hörte, daß ihnen bei Todesstrafe befohlen sei, sofort anzutreten. Ich sah ihnen an, daß sie von mir Hilfe erwarteten, ging ins Zimmer zurück und schrieb an Frau Herrmanns Schreibtisch an den Kompagnie Führer Philipp Rindfleisch etwa so: Auf Befehl des Armee-Oberkommandos in Schönberg hat die Hawig Maschinenfabrik Sonntag früh zu arbeiten. Die Gefolgschaftsmitglieder Gerhard, Gölz und Riebel sind deshalb nicht zum Volkssturm einzuziehen. Dann meine Unterschrift und den Zusatz: Auf Befehl des AOK und als bevollmächtigter Beauftragter des Ministers für Rüstung und Kriegsproduktion. Sie glaubten es.
Ich hatte sehr erregt und „undeutlich“ geschrieben, so daß ich den Text vorsichtiger Weise Gerhard Wort für Wort vorlas. Er konnte es dann selber nachlesen. Sie zogen dankend ab. Bei Frau Herrmann-Merck bis Mitternacht. Hezchen nach Haus. Ich wollte erst noch hören, was aus meinen Leuten geworden war. Treffe bei Riebel alle drei zusammen, die bei einem Schoppen Wein und einer frischen Büchse Leberwurst ihre Freistellung vom Volkssturm feierten. Gerhard berichtet, wie gut es gewesen war, daß er den Text mit mir gelesen hatte. Er sollte den versammelten Volkssturmhäuptlingen vorlesen. Sie nahmen sichtlich Haltung an und verbeugten sich, als die hohen Dienststellen genannt wurden. Selbstverständlich waren alle drei sofort frei.
Hezchen (meine Frau) und Beate (meine Tochter), in aller Eile zu Schonnefeld gebracht, haben sich, ohne sich zu melden, durch die Küche hinaufgeschlichen und hingelegt. Ich ging zurück , traf am Mäuerchen Inge (Schonnefeld), die mit dem Rad schwer beladen zurückkam von der letzten Arbeit als Rot-Kreuz-Schwester in der Krone (Lazarett). Wolfgang (ihr Sohn) unter Tränen nach Lindenfels im Krankenauto. Er will den Amerikanern nicht in die Hände fallen. Unsinn! Tut er doch, hier oder da. Und warum nicht. Lazarett hat neueste Nachricht, daß Amerikaner Umgehung machen durch den Odenwald über Ober-Ramstadt – Michelstadt. Ich helfe Inge, das Rad auf den Buckel hinaufzuschieben. Dann wieder zurück zur Bahnhofstraße. 2 Sturmgeschütze brausten nach Zwingenberg durch, dann kam ein Sanitätsauto (!) mit 500 L Benzin. Das Sturmgeschütz an der Ecke tankte 100 L und fuhr über Bensheim Richtung Schwanheim Gott sei Dank weg. Sanitätsauto weiter Richtung Zwingenberg, um die dort stehenden Sturmgeschütze zu versorgen. Nur geringer Kampflärm fernab. Jetzt kein Schießen mehr.
Nicht zum Schlafen gekommen. Feind sollte in Alsbach, vielleicht auch Zwingenberg stehen. Ein Offizier auf Motorrad brauste heran und fragte, ob die Auerbacher in ihren Häusern seien. In Heppenheim sei alles in die Wälder getürmt, weil die Polizei zweimal erklärt habe, die Bergstraße sei zu räumen, weil eine neue Waffe angewendet werde. Er war erfreut zu hören, daß hier nichts bekannt sei und daß man sich nicht durch ein so vages Gerücht habe verblüffen lassen.
Brückmann (Kreisleiter) soll in Bensheim den Volkssturm stark anspannen. Als ich den Buckel zum zweiten Mal herunterging, nachdem ich Inge mit Rad zwischen 2 und 3 Uhr hinaufgeholfen hatte, traf ich auf der Schloßstraße zwei militärische Personen, die ich erst später als Volkssturm erkannte. Ich sagte, sie sollten türmen, Feind schon im Odenwald, hier alles voll Ausgebombter, denen man nicht die Häuser durch sinnlosen Widerstand zerstören soll. Auf einmal redet mich der eine mit Herr Doktor an. Es war der Dachdeckermeister Kuhn aus Bensheim.
Gegen 3.30 Uhr rückte Infanterie in Richtung Zwingenberg vor. Als ich etwas vorging, kamen vier Panzerabwehrkanonen, deren Führer fragte, ob er am Südausgang von Auerbach sei. Er war hier beinahe schon am Nordausgang. Ich wollte ihn nicht in unserer Nähe haben und riet ihm, noch weiter vorzurücken, um besseres Schußfeld zu erhalten.
Montag, den 26.3.45 7.30 Uhr
Hella und Beate waren bereits am 24. abends zu Schonnefeld auf den Margaretenberg gegangen und schliefen dort, um nicht bei den Kämpfen um die Panzersperre bei Kilgus gefährdet zu sein. Die Amerikaner kamen aber in der Nacht und am ganzen Sonntag hier nicht weiter vor. So aßen wir gestern gemeinsam mit Schonnefelds auf dem Buckel zu Mittag. Abends gingen wir alle nach Bahnhofstraße 5 zurück. Nach Bensheim ging ich nicht. Der Kreisleiter soll dort den Volkssturm kommandieren. Frau Herrmann hat ihren Keller eingerichtet. Unser Keller gefällt mir nicht, zu eng. In den heutigen frühen Morgenstunden gegen 3.00 Uhr wurde die Artillerietätigkeit sehr stark. Unsere Batterien etwa im Jägersburger Wald, Einschläge der Feindgeschütze blieben westlich der Bahn. Bei sehr starkem Gefechtslärm, der besonders auch durch unsere Batterien hervorgerufen wurde, brachte ich Hella und Beate mit Gepäck in den Stollen oberhalb Försterei Brück. Die Hawigarbeit ließ ich durch Herumsagen absagen. Schlaf war nur von 23 bis 2 Uhr. Trotzdem bin ich hellwach und möchte Bäume ausreißen. Laufend Verbindung zu Frau Herrmann, auf die ich mich verlassen kann. Die geräuchvolle Nacht läßt eine Entscheidung für diesen Tag erwarten. Straßen leer, überall Jabos. Es knattert an allen Ecken.
Ganz Auerbach sitzt im Keller, weil die Jabos wild in der Luft sind und schießen. Kreisleiter Brückmann soll getürmt sein. Frau Herrmann hat jetzt Ruhe in ihrem Keller. Auf meine Anregung gingen Frau Merck und Sohn, Dr. Merck, der etwas ängstlich zu sein scheint, in den Stollen bei Förster Brück. Viel hielten sich vor dem Stolleneingang im Freien auf. Drinnen war es mir unsympathisch.
Durch die leeren Straßen von Auerbach immer eng an die Häuser geklemmt springe ich von Hausecke zu Hausecke. Über mir jaulen und knattern die Jabos.
Frau Herrmann hält mir eine Standpauke, daß ich zu leichtsinnig sei. MG Kugel durch ihr Badezimmer ins Schlafzimmer geflogen. Steckt neben dem Bett im Fußboden. Ich soll auch im Keller bleiben. Das kann ich nicht, ich muß draußen sein, muß sehen, habe das Gefühl, daß ich sonst zu irgend etwas zu spät komme.
Das Haus ist leer, ich sitze einsam am Wohnzimmertisch, Knoblochs und Querengässers im Keller. Bett ungemacht. Tisch nicht aufgeräumt. Kriegsmäßige Unordnung. In Bensheim große Brände. Die Rauchwolken sind so hoch, daß man sie im Hochstädter Tal sehen kann.
Jabo Tätigkeit den ganzen Nachmittag über sehr stark. In Auerbach überall MG Einschläge, aber glücklicherweise keine Bomben. Nachmittags wieder Besuch im Stollen, gegen 19 Uhr zurück mit Beate, die einiges aus der Wohnung holt und wieder zum Stollen verschwindet.
Am Ausgang von Auerbach nach Hochstädten brennt das Haus Poetz. F.C.K. [Fritz Krauß]
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